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22.10.00 NOsten:
Oderbruch und Fort Gorgast

Vom GPS aufgezeichnete Strecke,
mit Waypoint+ geplottet

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Warum die Computerläden immer so voll sind? Ganz einfach: Die Leute fürchten, dass ihre Käufe technisch total veraltet sind, sobald sie damit auch nur einen Schritt vor die Tür setzen. Da zögern sie gern einen Moment - ohne freilich der bösen Falle des technischen Fortschritts entgehen zu können. Aber Trost naht: Ähnliches geschah schon vor über 100 Jahren, und da erging es auch Kaisern so. Originaler 97er OderbruchhochwassersandsackNein, nicht mit Computern, aber mit Forts, wie zum Beispiel dem in Gorgast (fast) an der Oder - und mit vielen anderen solcher Wehranlagen (etwa Hahneberg in Staaken). Als Gorgast 1889 nach sechsjähriger Bauzeit endlich fertiggestellt war, gab’s bereits brisantere Granaten mit einer Reichweite von zwölf Kilometern - denen ein solcher Bau ebenso wehr- wie wertlos gegenüberstand. Der Anlage in Gorgast galt unlängst - man ahnt es schon - einer unserer Sonntagsausflüge.

Eigentlich war ja alles noch viel schlimmer. Denn da in solchen Behausungen nicht nur Soldaten, sondern auch viel Munition aufbewahrt wurden, wuchs mit der Entwicklung der feindlichen Artillerie die Gefahr, dass sich der Steinhaufen nach einem Treffer schnell selbst zerlegt, unter Eintrichterung der Umgebung, sozusagen. Daher waren denn gleich bei Inbetriebnahme einige Umbauten nötig - aber diese Tradition ist ja bei Investitionen der Öffentlichen Hand (und beileibe nicht nur dort) erhalten geblieben.

Überhaupt hatten die 250 Infanteristen und 60 Artilleristen, die sich dort anfangs als Besatzung zu Friedenszeiten aufhielten, auf Filzlatschen zu gehen - jedenfalls dann, wenn sie sich in der Nähe des Pulverlagers aufhielten. Ein Job für Nichtraucher war das ohnehin. Damit nun nicht gleich alles beim ersten GAU Rast an der Kneipe in Zollbrückein Trümmern zusammenfiel, gab es in jenem Teil der Kasemattenanlage Sollbruchstellen und dahinter besondere Gänge. Durch diese Kanäle sollte sich die Druckwelle im schlimmsten Fall einen Weg nach außen bahnen. Lockerer Sand über den Öffnungen hatte dann die Aufgabe, nach unten zu rieseln und Flammen zu ersticken - naja, wir wollten nicht testen, ob das nun wirklich funktioniert.

Außerdem ist die Anlage spätestens 1995 ratzeputz geleert worden, von der Bundeswehr, also von dem Rechtsnachfolger des Rechtsnachfolgers (NVA) des Rechtsnachfolgers (Wehrmacht) des Rechtsnachfolgers (Reichswehr) des Bauherren (kaiserliches Heer). Selbst die Nazis hatten nicht allzu viel Vertrauen in das Bauwerk, sie lagerten dort nur Zündkerzen und Batterien ein. Erst bei der NVA war’s wieder Munition, und zwar wohl in mächtigen Mengen. Denn für nächtliche An- und Abtransporte war extra ein weiterer Damm aufgeschüttet worden.

Seit 1996 hat der Gemeindeverbund Küstriner Vorland das Gelände zugänglich gemacht, viel ehrenamtliche Arbeit wurde investiert, um den Besuchern die Geschichte zu vermitteln. Eine kleine Ausstellung ist hier zu sehen, darüber hinaus wächst eine Sammlung alter landwirtschaftlicher Maschinen heran, fein säuberlich restauriert. Sie künden von der Plackerei der Landarbeit, bevor es noch Dampfmaschinen und Verbrennungsmotoren gab.

Aber wie kommt man überhaupt auf die Idee, an der Stelle ein Fort zu errichten? Nun, es sollte als Verstärkung der Festung Küstrin dienen, und zwar mit drei weiteren, ähnlichen Befestigungen in der Verfallendes Haus hinterm DeichGegend: Zorndorf, Tschernow und Säpzig. Diese Antwort provoziert sofort eine weitere Frage: Warum war Küstrin eigentlich eine Festung? Der in der preußischen Geschichte Bewanderte weiß schließlich, dass das Land ringsum zur Bauzeit der Festung (von 1537 an) schon ziemlich sicher war: Die Kurfürsten von Hohenzollern hatten die Geschäftsleitung Brandenburgs (also des Gebiets westlich der Oder) bereits seit 1415 inne. Und die Neumark, östlich der Oder, hatten sie 1455 vom Deutschen Orden zurück gekauft (wir waren zwar nicht dabei, aber so steht’s in den Bänden zur Ausstellung "Preußen, Versuch einer Bilanz", von 1981).

Nun, offenbar fand Markgraf Johannes das Städtchen so chic, dass er es von 1535 bis 1571 zur Hauptstadt der Neumark ernannte. Und wo der Chef einzieht, wird gründlich renoviert. Eine unbefriedigende Antwort, sicher, aber wir haben keine bessere gefunden. Da kann uns auch Théo der Wanderer nicht helfen, dabei nahm der sich ja zwischen 1862 und 1882 fürs Feuilleton der Tante Voss recht viel Zeit für seine weitläufigen Ausflüge.

Aber eben selbst ein Fontane buddelte zur Genese der Festung Küstrins nach Abwägung damals bekannter Gerüchte nur dies aus: "Und so dürfen wir denn die Gründe zur Befestigung des Orts nicht in einer besonderen politischen Veranlassung, sondern einzig und allein in dem allgemeinen Zuge der Zeit suchen, der allerorten Zugang zum Fort Gorgastdahin ging, an die Stelle mittelalterlicher, durchaus unausreichend gewordener Stadtbefestigungen wirkliche Festungen treten zu lassen." Da behaupte noch jemand, früher seien Journalismus und Recherche präziser gewesen als heute.

Jedenfalls hat Johannes nicht an den Steuern des Volkes sparen lassen. Für seinen neuen Amtssitz wurden Francesco Chiaramella de Gandino und Rochus Guerrini Graf zu Lynar bemüht. Die beiden waren damals die Renzo Pianos und Richard Rogers des Festungsbaus, ihre Spuren finden sich auch an der Zitadelle Spandau.

Zurück nach Gorgast. Damals wie heute gab’s ja Leute, die gleichermaßen sich ums Land verdient gemacht und am Land verdient haben. Der dortige Grundbesitzer jedenfalls kassierte für die knapp zwölf Hektar nebst Entschädigung für Pappeln und andere Gewächse rund 72 000 Mark. Wie viele Klinkersteine hier in den Sand gesetzt wurden, ist unbekannt (bei Hahneberg sollen es 28 Millionen sein) - es war jedenfalls Arbeit genug für rund 27 Ziegeleien ringsum. Mehr als 60 verschiedene Steinformen wurden bei genaueren Untersuchungen ausgemacht. Und die Bauern der Umgebung durften nach Fertigstellung der Gewölbe noch riesige Mengen Erdreich zur Abdeckung heranschaffen. Pro Karre erhielten sie einen Groschen, pro Rückenkiepe einen halben Pfennig. Dies nur als Maßstab dafür, wie viel 72 000 Mark damals wert waren.

Nun ist das Oderbruch ein Feuchtgebiet, das Grundwasser steht sehr hoch an. Der Wassergraben um das Fort sollte aber nicht nur 45 bis 52 Meter breit, sondern auch drei Meter tief sein. So wurden Strafgefangene herbeigeholt, die eine Ableitung des Wassers legen mussten, damit überhaupt so tief gegraben werden konnte. Und das Vorhandensein eines 90 Meter tiefen artesischen Brunnens belegt, dass die Kasemattenanlage selbst mitten im Grundwasser steht.

Aber den Soldaten ging’s eigentlich auch nicht viel besser als den Er-Bauern. Denn jeder Raum misst zwar 64 Quadratmeter, sollte aber mit 30 Menschen belegt werden. Betten gab es also nicht, geschlafen wurde in Hängematten. Und das war die Planung für den Frieden, in Kriegszeiten hätte es dort noch viel enger zugehen sollen: 10 000 Mann sollten sich dort drei Monate lang halten. Nä, dann doch lieber Sozialer Wohnungsbau. Zumal es in solchen Kasematten ziemlich kühl und klamm bleibt, so um die acht bis zehn Grad Celsius. Zwar weisen Ofennischen auf das Vorhandensein von Feuerstellen hin, aber ob die immer in Gang gehalten wurden, Fachwerkhaus an der Oderkann man bezweifeln. Ein ausgeklügeltes Be- und Entlüftungssystem allerdings verhindert, dass es allzu sehr müffelt.

A propos, müffeln: Wem’s nun stinkt, dass er bei unserer wunderschönen Tour nicht dabei gewesen ist, die Pit über kaum befahrene Nebenstraßen lenkte, der möge sich die folgenden Orte auf der Karte suchen: Stolpe, Velten, Borgsdorf, Briese, Summt, Zühlsdorf, Wandlitz, Lanke, Biesenthal, Melchow, Grüntal, Tuchen-Klobbicke, Trampe, Krummenpfahl, Dannenberg, Platzfelde, Bad Freienwalde, Neugaul, Altreetz, Wustrow, Zollbrücke, Neulietze, Neulewin, Altlewin, Ortwin, Groß Neuendorf, Kienitz, Sophienthal, Zechin, Genschmar, Fort Gorgast. Und von dort ging’s über Manschow, Seelow, Gusow, Platkow, Neuhardenberg, Ringenwalde, Bollersdorf, Ruhlsdorf, Hohenstein, Strausberg, Egersdorf, Altlandsberg und Hönow nach Marzahn, also nach Berlin zurück.

An die Homepage der Fort-Leute kommt man über den Link unten, Bettina Fortunato, die die Führungen organisiert, ist unter fortunato@elysiaonline.de erreichbar. Und nun noch die Rufnummer zur Kontaktaufnahme: 03 34 72 / 516 32.

So stand's auf TSP-Logo-Mobil-Seite. Der Autor Gido hat den Klau freundlichst genehmigt.


Linktips


Im Detail

Die Tour wird als ultrabrutale Gegenlichtfahrt in die Geschichte eingehenTanke Stolper Heide - Dreieck Oranienburg - Berliner Ring - Ausfahrt 35 Velten - K6504 Pinnow - Borgsdorf - K6502 Kolonie Briese - Summt - links L211 Richtung Lehnitz - vorher rechts K6503 Zühlsdorf - am Rahmer See entlang - B273 queren - Wandlitz - rechts auf B109 - L29 links Arendsee - Ützdorf - Lanke - Bisenthal - B2 Melchow - links nach Grüntal - rechts Tuchen - Klobicke - Trampe - Gersdorf - am Gamensee entlang - Krummenpfahl - Dannenberg rechts L35 - Platzfelde links B158 - Bad Freienwalde - Altranft (Freilandmuseum!) - Rathsdorf links - Neugaul - Altreetz - Wustrow - Zollbrücke (hier im kleinen Gasthaus am Deich essen und Museum im Haus des Deichgrafen besuchen!) - Neulietzegöricke - gleich hinter Karlshof links auf dem Deich (erlaubt) nach Güstebieser Loose - linkls bis zum Parkplatz an der Oder - zurück nach Neulewin - Altlewin - Neubarnim - Ortwig - Groß neuendorf (alte Hafenanlage) - am Deich entlang nach Kienitz - Sophiental - Zechin - Genschmar - Gorgast - kurz vor der B1 links durchs Tor auf Gewerbegeläne (Fischimbiss und Zugang über Damm zum Fort) - B1 rechts nach Seelow (Gedenkstätte Seelower Höhen - sehenswert!) - rechts B167 Gusow - Platkow - Neuhardenberg (Schloss) - links L34 Ringenwalde - Reichenberg - Bollersdorf - Hohenstein - Strausberg - Altlandsberg - Hönow und wieder die Fahrdeppen von Berlin. -macht 290 km


THE END

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