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Die Rausfahrer

Report
13.6.99

GPS-Log

Wenn Engel reisen, ist schönes Wetter. Nun ist der gemeine Homo Rausfahrensis beileibe kein Engel. Er fristet sein allwöchentliches Dasein als Bankkaufmann, Unternehmensberater, Beamter oder Tennisschlägerbespannungstechniker, diskutiert mit den Kindern über Taschengelderhöhungen und verzweifelt regelmäßig an seiner Steuererklärung. Ja, er wirkt nach außen hin völlig verbürgerlicht. Seine Camouflage gibt er nur an Wochenenden auf. Dann rottet er sich seltsam gewandet im Rudel zusammen, redet wirr über Nockenwellen und Kettenpflege und fährt anschließend völlig grundlos stundenlang in Zweierreihen durchs Berliner Umland.

Wie auch immer: Mit dem Wetter klappte es trotzdem. Freitags hatte die Tourvorbereitung noch erheblichen Materialverschleiß verursacht, Sonnabends entartete sie nach sieben Stunden Brandenburger Landregens langsam zur gefährlichen Rutschparty auf alten Dorfstraßen. Und am Sonntag, dem Tag der Wahrheit, startete mit 20 Mopeds samt Piloten/Innen die bisher größte Rausfahrergruppe um 9.00 Uhr an der B 101 in Marienfelde bei bestem Tourenwetter in Richtung Oder-Spree-Seengebiet.

Über Blankenfelde, Dahlewitz, Ragow und Königs Wusterhausen ging‘s am Krüpelsee vorbei bis Senzig. Hinter Senzig bogen wir nach Gussow ab. Von Gussow aus kann man gemütlich immer an der Dahme entlang bis Pieros cruisen. Man kann, man muß aber nicht! Die Enduristen und andere Unvernünftige - Pardon! Unerschrockene fuhren auf regenerweichten Sandwegen direkt am Dolgensee entlang.

Direkt hinter Pieros verließen wir die B 246 wieder in Richtung Norden nach Kolberg. In Kolberg rechts ab am Wolziger See entlang kamen wir über die Dörfer in Storkow wieder auf die B 246. In Richtung Beeskow pilotierten wir zum ersten Halt am Bikertreff "Märkisches Buffet" in 15864 Wendisch-Rietz, Tel.: 033679/ 229 (direkt am Bahnhof an der Bundesstraße). Der Wirt ist ausgewiesener Harleymaniac und hält für Zweiradfahrer immer Kaffee und Streckentips bereit.

Vorbei am Scharmützelsee in Richtung Bad Saarow-Pieskow wurden wir im Vorbeifahren Zaungäste der German Open im Golf. Weiter ging‘s rauf nach Fürstenwalde, durch die Stadt in Richtung Müncheberg und am Flughafen vorbei über Buchholz bis Gölsdorf. Die Dörfer Gölsdorf und Eggersdorf verbindet eine alte Kopfsteinpflasterpiste. Die ist so unzumutbar, daß die Autofahrer links und rechts davon Spurbahnen in den Sand gefahren haben. Diese fahrtechnisch anspruchsvolle Straße sollte man sich nur bei gutem Wetter und möglichst nicht alleine zutrauen. Wir schafften es ohne nennenswerte Verluste und fuhren durch Müncheberg Richtung Prötzel in die Märkische Schweiz ein.

In 15377 Buckow (slawisch: Der Buchenort) am Schermützelsee besuchten wir die "Eiserne Villa", das Sommerhaus von Berthold Brecht und Helene Weigel in der Berthold-Brecht-Str. 29, Tel. 033433/ 467. Der Weg ist ab dem Marktplatz ausgeschildert.

Den Kurpark, der unmittelbar neben dem Anwesen beginnt, haben wir leider nicht mehr gesehen. Der wurde nach Entwürfen von Berlins berühmtesten Gartenbauer, Peter Lenné, angelegt. Überhaupt ist Buckow ein kleines Schmuckstück. Das erkannte auch Berlins Schickeria in den "roaring twenties" und baute sich sündhaft teure Refugien in die Hügel rund um den See. Selbst das Buckower Kopfsteinpflaster ist berühmt. Schon Fontane vermutete, daß an diesem Ort wohl nur Schmiede und Chirurgen wohnten, und die wollten schließlich auch leben. Derart literarisch geadelt, haben die Gemeindeväter bis heute keinen Anlaß gesehen, die Straßenverhältnisse merklich zu ändern. Am besten läßt man sein Moped am Marktplatz stehen und erläuft sich den Ort.

Nach der Mittagspause am Marktplatz sollte es im Korso ein Stück zurück in Richtung Müncheberg und dann links rum am Bahnhof Dahnsdorf vorbei über Münchehofe, Obersdorf, Hermersdorf bis zum Ökodorf Wulkow und dann nach Neuhardenberg auf die B 167 gehen. Hier gibt es auf noch ursprüngliche Sand- und Kopfsteinpflasterpisten, die Mensch und Maschine ein ganzheitliches Erlebnis der besonderen Art verschaffen. Leider verpaßte ein Teil der Gruppe die Abfahrt, so daß wir uns erst am nächsten Haltepunkt wiedertrafen.

Kurz hinter Neuhardenberg in Richtung Bad Freienwalde ging es rechts ab in das alte Fischerdorf Altfriedland. Auf einer Landzunge zwischen dem Kloster- und dem Kietzer See feierte das auf wendische Fischer und eine Klostergündung um 1250 zurückgehende Örtchen ein Fest in der Heimatstube "Langes Haus" (Fremdenverkehrsverein, 15320 Altfriedland, Tel.: 033476/ 50957). Im Ort gab es neben der Klosterruine noch alte Tabakscheunen und Störche zu bewundern. Am besten aber gefiel allen der selbstgebackene Kuchen und der Kaffee. Alles für ‘ne Mark.

Über die B 167 ein kleines Stück Richtung Norden bogen wir in den Oderbruch ein. In Neutrebbin steht der Alte Fritz seit einiger Zeit wieder auf seinem hohen Sockel und blickt stolz und photogen auf seine kampflos eroberte Provinz. Das wissen offensichtlich sehr viele. Weshalb die menschenleere Straße rund um das Denkmal auch mit reichlich Halteverbotsschildern gesegnet ist (rofl).

Weiter über Altrebbin, Neulewin und Karlsbiese konnten wir auf dem ehemaligen Deich an der alten Oder entlang an der Güstebieser Loose direkt an die Oder fahren. Auf der ehemaligen Fährrampe stehend, war der Kirchturm von Gozdowice zum Greifen nah. Nach meiner Kenntnis ist das im Oderbruch die einzige Möglichkeit, motorisiert ans Oderufer zu kommen.

Zurück ging’s wieder immer auf dem Deich an der alten Oder entlang bis Wriezen und von da über Prötzel bis nach Tiefensee auf einer gut ausgebauten Nebenstrecke durch die Wälder in Barnimer Land. In Tiefensee hörte der Spaß leider auf. Die B 158 in Richtung Berlin war auch an diesem Wochenende wieder beliebter Treffpunkt zahlloser Autofahrer, die den Montagmorgenstau zum Arbeitsplatz partout nicht abwarten konnten. Grund genug, diese Ecke bei einer der nächsten Rausfahrten nach kleinen Schleichwegen abzusuchen.

Das Ende naht. ............. Das Ende!

(Das Ende hatte eine Fortsetzung: Pubertäres Geheize zu Loretta! - d.Säzzer)
Text von Hans W.


Das Brecht-Weigel-Haus in Buckow
Kaffee, Kuchen und Jungstoerche in Altfriedland
Soldatenlose Landeroberung: Der alte Fritz in Neutrebbin
An der Oder
THE END
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