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Die Rausfahrer

Report 13.11.99
Der geheimnisvolle Flugplatz Sperenberg


Einer der geheimnisvollsten Orte um Berlin herum ist der Flugplatz bei Sperenberg, der noch immer von Stacheldraht umgeben und rund um die Uhr bewacht ist. Vielleicht nur deshalb, weil er immer noch Vorhaltefläche für den neuen Berliner Flughafenn ist? Trotzdem ist ein Besuch möglich, nämlich unter Aufsicht und mit kundiger Anleitung durch die Bürgervereinigung Kummersdorf Gut.

Wer kann übersetzen?Viele Vereine gibt es im "ländlichen Raum", die sich mit der Geschichte und Tradition ihrer näheren Umgebung oder ihnen naheliegenden Themen beschäftigen und auseinandersetzen. Die einen haben es mit den Trachten, die anderen mit volkstümelnder Musik und wieder andere züchten Kleintiere. Aber was macht man, wenn man über 100 Jahre nur Militär um sich hatte und durch diese auch zu Lohn und Brot kam? Man muss nicht unbedingt Militarist sein, um das als Thema für einen Verein zu machen. Die Bürgervereinigung liegt also mit ihrem Thema abseits des Mainstreams, es ist aber die logische Konsequenz aus den Bedingungen ihrer Heimat.

Die Rausfahrer, zum größten Teil und glücklicherweise durch den Ort und die Gnade der späten und nicht zu späten Geburt von jedem Dienst an der Waffe verschont geblieben, trieb eher die Neugier aufs Gelände. Diese wurde erweckt, als wir eher zufällig auf das Museum in Kummersdorf stießen und dort von den Exkursionen aufs verbotene Gelände erfuhren. So konnte der Drang, das eine oder anderen Verbotsschild von hinten betrachten zu wollen, legalisiert werden.

Die PisteNun wurden es gleich zwei Tage, die wir in Nieselregen und bei nebligem Wetter als "Stalker" (Andrej' Tarkowskis Film mit diesem Titel sollte man vorher gesehen haben) durch die "Zone" streiften. Wie das geht? Bei der Bürgervereinigung einfach anfragen, wann es wieder eine Gelegenheit gibt (Link ist unten).

Am Samstag besuchten wir den Flugplatz Sperenberg. Ganz feige sind wir ausnahmsweise mit Dosen angereist, denn diese wurden für die Rundfahrt und zum Aufwärmen benötigt. Eine Ausnahme machte Angelika, die eisenhart mit ihrer Enduro angereist kam.

Vorm Tor, von Wachschutzleuten hinter spießigen Gardinchen in den Fenstern des vor einigen Jahren noch von Russen belegten Pförtnerhäuschens bewacht, trafen sich die Interessenten - eine bunter Haufen aus militärhistorisch Interessierten, Neugierigen wie wir und Anwohnern, die endlich einmal sehen wollten, was sich hinter den Mauern und dem Stacheldraht tat.

Dort tat sich sehr viel. In erster Linie war es ein Flughafen. Von der DDR in den 50ern für den großen Bruder gebaut, damit Schönefeld rein zivil genutzt werden konnte, hat das Gelände selbst eine noch ältere militärische Geschichte, denn es gehörte zur Heeresversuchsstelle Kummersdorf, wo seit 1870 alles, was für das Her nützlich sein konnte, auf seine Brauchbarkeit getestet wurde..

Nachdem jede seine Haftungsausschlußerklärung unterschrieben und die 40 Mark bezahlt hatte, ging es im Gänsemarch hinter dem Führungsfahrzeug los. Zuerst über die Rollbahn. Im Gegensatz zu "Altes Lager", dessen Flugplatz für private Autorennen und Hochgeschwindigkeitsstests auf Motorrädern genutzt wurde und zu tödlichen Unfällen führte, nutzte man diesen Flugplatz pragmatischer und ohne sportlichen Anspruch: man verschob Autos. Anfang der 90er verdienten sich die russischen Militärs ein gutes Zubrot, indem geklaute Luxuslimousinen durch den nahen Wald und übers Rollfeld direkt in die riesigen Iljuschin- und andere Transportmaschinen gefahren wurden und "flugs" in die Ex-UdSSR geflogen wurden. Auf dem Rückweg kamen dann die Zigaretten am Zoll vorbei ins Land. In Groß Dölln verfuhr man ähnlich. Abends fuhren Kolonnen von Autos durch die Wälder, die tagsüber in alten Scheunen gesammelt wurden. Auch der SPIEGEL berichtete.

WandmalereiGewartet wurden die Flieger in Hallen, die völlig ausgeräumt am Rande des Rollfelds stehen. Die Bedingen, unter denen hier Flugzeuge gewartet wurden, erscheinen gelinde gesagt unkomfortabel. Auch im Winter mussten die Hallentüren offen bleiben, weil die Maschinen nicht vollständig hinein passten. Die technischen Anlagen, jetzt zum größten Teil zerstört, waren wohl schon damals nicht der Hit.

Vorbei an unterirdischen Kerosinlagern (stand da nicht kürzlich in der Tagespresse, dass gerade das letzte russische Tanklager saniert wurde - hier sind übrigens einige vergessen worden!) kamen wir in de Nähe des zentralen Heizwerks in die Nähe des Sees, der eigenartiges Bild bot. Am Rand stehen Gebäude, die teils Kaserne, teils Freizeiteinrichtungen für Offiziere waren. Bestimmt schon vorm zweiten Weltkrieg gebaut, wurden sie später in das typische Sowjetarmee-Grau getaucht. Im Innern findet man noch Wandgemälde von im Sturzflug das Vaterland verteidigende MIGs, das mit dicken Eisengittern gesicherte Wodka-Lager und Fitnessräume, in denen noch die Sprossenwände und kyrillische und für uns unlesbare Anleitungen zu Leibesübungen an den Wänden stehen. Romantisch am See gelegen wurden kleine Sitzgruppen gezimmert, an denen nächtens unter Birken nahe am Schilf die Balalaika in Gang gesetzt wurde und bei den Rotarmisten Heimatgedanken an Mücken und laue Tundranächte erzeugt wurden.

Auf dem See lag Nebel, ein paar Enten paddelten herum und das Gesamtbild wurde nur durch völlig deplaziert wirkende Brückenpfeiler gestört. Wieso Brückenpfeiler in einem Märkischen See, der so klein ist, dass man Eisenbahnlinien nicht unbedingt mitten hindurch bauen muss? Solch kuriose Lösungen bietet nur das Militär. Hier haben vor über 100 Jahren Pioniere das Bauen von Eisenbahnbrücken geübt - und das Ergebnis preußisch-solider Planung hat überlebt. Kaum angenagt vom Zahn der Zeit, stehen die Pfeiler hier immer noch wie neu im See. Am anderen Ufer wurde in den 30ern zum Gedenken an die überrollten und abgestürzten Pioniere eine spitze Pyramide als Gedenkstätte errichtet, die erst kürzlich nach langen Verhandlungen mit den Förstern durch Auslichtung des Dschungels wieder sichtbar gemacht wurde. Wer meint, dass es keine sinnvolleren und wichtigeren Gedenkstätten gibt, kann für die Restaurierung spenden. Auskunft bei der Bürgervereinigung.

Der Tower im NebelNach einem Marsch über Eisenbahnschwellen, vorbei an einem zerfallenden Kraftwerk, durch ein Gebäude, das offensichtlich Schulungs- und Veranstaltungsräume beherbergte, ging es wieder zu den Autos, in denen man die Füße kurz wärmen konnte, um das im Preis enthaltene Mittagessen zu Füßen des Towers einzunehmen. Hier hatte man für uns einen Herd, einen Grill und Sitzgelegenheiten aufgebaut. Dazu gab es Glühwein oder Kaffee. Nicht schlecht. Ob die Russen auf ihren Picknickplatz genauso üppig bewirtet wurden?

Der Tower musste natürlich besichtigt werden. Er sah so aus, als wurde er dem Wachstum des Waldes zwischen ihm und der Startbahn angepasst. Immer wieder eine Etage draufgesetzt und zum Schluß noch eine Dachterrasse - so sieht er aus. Durch den Fensterrahmen konnte man reinklettern. Auf den Treppen nach oben mussten einige Möbel beiseite geräumt werden und zur letzten Etage ging es über eine in typisch russischer Schweißkunst gestalteten Außenleiter. Nix zu sehen. Außer Herbstwald und Nebel...

Ein weiterer See beendet sich auf dem Gelände. Hier wurden nicht feste Brücken gebaut, sondern bewegliche. Die Ufer sind teilweise wie Kaianlagen gestaltet. An ihnen wurden Pontons befestigt und die Überquerung von Gewässern trainiert. Eisenbahnschienen in drei verschiedenen Spurweiten führen zu See. Einmal muss es ein Problem gegeben habe. Auf dem Grund des Sees soll eine preußische Dampflokomotive liegen, die schlicht aus den Gleisen in den See gesprungen sein soll. Weil der ganze See voller Munition liegt, hat es noch kein Taucher gewagt, dem Gerücht auf den Grund zu gehen.

Wer die ganzen Geschichte nicht glaubt, kann sie bei einer der Führungen gerne überprüfen.

- Peter G

Ein See voller Brückenpfeiler

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THE END
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