|
Der Berliner hat's schwer. Will er mal eine richtig gute Kurve fahren, muss er Autobahnkreuze aufsuchen. Der Schöneberger Abzweig oder das Wannseer Kleeblatt sind oft mit Kurvenschleichern besetzt und außerdem irgendwann langweilig. Und wo gibt es die nächsten wirklichen Bergstrecken? In Tschechien! Nebeneffekt: Diese Land liegt so nah und ist trotzdem viel exotischer als Frankreich oder Italien: Man versteht einfach gar nichts von dieser Sprache. Unsere Location-Scouts Christian und Klaus haben schon im Juli vorgekostet, was interessierten Rausfahrern später schmecken sollte. Dazu gehörten neben guter Küche und genießbaren Straßen auch die Betthärte und Garagen. Man wurde fündig, nämlich in der Nähe von Liberec, nicht weit weg von Zittau. Die Waldpension Novina (Novina 101, 46001 Krystofovo udoli, Tel +42-48-2821452) hat 7 ordentliche Zimmer à 50 DM mit jeweils 3 Betten, Dusche und WC. Die Moppeds übernachten sicher in einer Garage. Auf der Terrasse gibt es ein Café und essen kann man dort auch nicht schlecht. Für Urquell und Budweiser ist gesorgt. Unsere Scouts waren mit ihren Dick-Enduros unterwegs und hatten sich trotzdem soweit unter Kontrolle, um den Hauptteil der Strecken auf befestigte Straßen zu legen. FreitagAlso: Ein rund fünfzigstündiger Urlaub von Fr 16:30 bis So 21:00 steht bevor. Ein Teil der Rausfahrer fuhr schon zwei Tage vorher hin, der Rest über unterschiedliche Strecken: Die mit viel Zeit gesegnete Kleingruppe immer die B96 runter (die legendäre Trans-DDR von Rügen bis zum Anschlag), mit Pause auf dem fast italienischen Bautzener Marktplatz (hier ist Preußen nicht mehr spürbar) bis Zittau. Die Hektiker ohne Zeit rüpelten über den Berliner Ring und die A13 bis zu Abfahrt Roggosen, über die B115 bei Bad Muskau vorbei, bei Niesky rechts über Löbau (Tanken und Eisschlabbern) bis Zittau. Hier über die Grenze, Geld tauschen (1:18), an Burg Grabstejn vorbei, ein kurzes Stück über die Schnellstraße, in Chrastava rechts, die Berge rauf, durch Krystofovo hindurch, wieder bergauf und in einer Rechtskurve liegt links schon das Hotelchen. Wenn Klaus in seiner per e-Mail übermittelten GPS-Route selbige beim Hotel enden gelassen hätte, hätten wir uns eine intensive Diskussionen darüber erspart, wie wir die 300 Meter den Berg rauf mitten durch den Gemüsegarten rechtschaffender Bürger ohne befestigten Weg zum Wald darüber (in dem kein Hotel zu sehen war) mit den Moppeds überwinden können. Immerhin konnten wir Passantinnen fragen. Karel, des Tschechischen mächtig, sprach zwei attraktive junge Damen an, die ihn nur mit verständnislosen Augen anschauten. Es waren deutsche Touristinnen, die weder Karel verstanden noch die Gegend kannten. Irgendwie kamen wir dann doch an. Über die Autobahn oder Landstraße sind es ca. 300 Km von Berlin. Der die Raufahrerseiten heimlich mitlesende ortskundige und jetzt Mit-Rausfahrer Michael aus Magdeburg war auch schon da. Eine Affentwin (man munkelt, das ausgereifteste Mopped überhaupt) stand krank mit defekter Zündbox in der Garage und so kam eine GS zur Sozia. Am Abend wurde die Küche durchgekostet (scharf!) und das eine oder andere Urquell verköstigt. Solange man schläft, hört man in Zimmer 3 nicht die ständig um konstanten Wasserdruck bemühte Pumpe. Muss ein System sein, das dem in Wohnmobilen ähnelt, wenn irgendwo ein Leck ist. Samstag:Der Tag begann schon recht früh mit einer kleinen Spazierfahrt zur Eisenbahnstrecke, die unserer Hotel in einem langen Tunnel unterquert. Vorher muss die Bahn eine hohe, aus gemauerten Bögen bestehende Talbrücke nehmen. Diese Brücke wurde aus der Nähe inspiziert. Der Weg vom überbrückten Bach und Straße nach oben war nur mit einem Teil der Motorräder zu bewältigen. So konnten wir mal sehen, was der Lokführer sieht, wenn er über die Täler fliegt. Irgendwo am Waldesrand, nur über einen Ackerweg erreichbar, stehen die Elefantenfelsen. Tatsächlich elefantengrau, aber viel größer als ihre Namensgeber, schauen die grauen Felskugeln vom Hang in die Landschaft. Man kann sie beklettern, und was man dann sieht, ist entweder weit mehr als ein halbes Jahrhundert alt (hoffentlich) oder man bekommt das Kotzen: Überall in den Fels sind Hakenkreuze eingemeißelt. Erst ging es über größere langkurvige, darauf über eher kleinkurvige Straßen durch viele 30er-Jahre-Dörfer. Dann eine kleine Geländeeinlage und etwa später eine Furt, deren Durchquerung etwas von russisch Roulette hatte. Recht lang war sie, die Flussdurchfahrt, und wer das Pech hatte, einen größeren der glibschigen moosüberwachsenen Steine zu erwischen, ging baden. Ging aber keiner! Adrenalinausschüttungen gab es trotzdem für Straßenmaschinenfahrer. Nächste Attraktion: Ein ehemaliger Basalt-Steinbruch, der mich etwas an die Abenteuer im Hoggar-Gebirge erinnerte. Im Prinzip standen wir inmitten einer aus schwarzen Pfeifen bestehenden Orgel. So ganz nebenbei labte sich der eine oder die andere an Brom- und Himbeeren. Das Städtchen Benesov hat einen eindeutigen Ortsmittelpunkt. Hier ist Parkplatz, Rathaus, Denkmal, Bushaltestelle und ein Restaurant, Dieses wurde benutzt und das Essen mit dem Beobachten des Balzverhaltens der Dorfjugend verbunden. Man könnte stundenlang die Geschichten beobachten, die hier ablaufen, aber so viel kann kein Mensch essen. Also weiter: Auf den Höhen oberhalb des Elbtals war eine Verdauungspause geplant. Nach einigem Zureden kamen auch die Rennerle über Feldwege auf das abgeerntete Feld. Sonne, Getreidegeruch und blauer Himmel. Irgendwie Bayerisch... Wieder wurde der kurze Augenblick der Entspannung von rastlosen Gemütern unterbrochen, die witterten und von Klaus bestätigt bekamen, dass da eine Piste zur Elbe herunterführen muss. Nun gut, eine Piste war es kaum. Eher ein ausgewaschenes, steiles Bachbett, das von dem Buellfahrer allerlei Tricks forderte, um den unterm Motor liegenden Auspuff vor allzu häufigem Steinkontakt zu schützen. Es klappte nur teilweise, denn die Bodenfreiheit wurde durch Plattkloppen des Auspuffs erhöht. Da kein Loch zustande kam, wurde der Lärmpegel glücklicherweise nicht erhöht. Das Angebot für Stollenritter, eine riesige unbewachte Kiesgrube zum Austoben zu nutzen, wurde nur als Zigaretten- und Pinkelpause genutzt. Müdigkeit zeigte sich. Kaffee mit Eis bzw. Kuchen gab es in einer Stadt, dessen Namen schon wieder entfallen ist. Diese Namen der Tschechischen Orte enthalten aber auch nicht eine Silbe, zu der einem eine Eselsbrücke einfallen würde. Statt Esel gab es einige bedauernswerte Bären, die in einem Zwinger vor einem gerade noch vor dem endgültigen Verfall geretteten Schloss stand. Jetzt wurde es richtig interessant: Eine Gegend, die Dörfer auf der Karte verzeichnete, die nicht existieren. Sperrgebiete auf alten Karten!!! Verwitterte Verbotsschilder. Edelstahlrohre stecken im Boden - quadratkilometerweit. Spannung! Wir fahren durch ein Dorf, das völlig normal wirkt, über eine Wiese zu einem leicht überwindbaren Zaun, eher ein Geländer. Was mag das sein? Überall diese aus dem Boden kommenden Stangen, oben daran ein Hahn, ein Durchflussmesser und in Rohren gesammelt, die bis zum Horizont laufen. An den aus der Erde kommendem Rohr ein Abzweig, der in eine große Plastik-Milchkanne führt. Das Rätsel kann nur durch eine Geschmacksprobe gelöst werden. Vermutung: Dilettantisch organisierte Saline. Hahn auf, Tropfen auf Finger, Zunge raus - Schlapp! Salzig, Aha, also doch Salzgewinnung. Warum musste Karel anschließend bloß die Leute fragen... Man presst Schwefelsäure in den Boden, löst damit Uran und transportiert es über die Rohrleitungen in die Verarbeitung. Seitdem kann man mich mit dem Geigerzähler finden. Wenn man kleine kurvige Sträßchen durch Ruinen und schöne Heidelandschaft entlangbraten möchte, sind ehemalige Militärgelände - vorzugsweise die der Russen - ideal geeignet. So auch in Tschechien. Eine Tour wie durch die Kulissen von Andrej Tarkows "Der Stalker".
Der (geografische) Höhepunkt war Jestedt, ein Berg mit immerhin über 1000m Höhe, der bis zum Gipfel befahrbar ist. Es gibt eine breite und eine schmale Straße nach oben. Die schmalere erinnerte an die kleinen unbekannteren Pässe in Italien, die Sorte, die man einfach raufheizen muss, denn mit kalten Reifen macht es keinen Spaß. Die Fortsetzung dieser Straße war ein Waldweg, dann ein Fußweg, der mitten durch eine Wildsausuhle führte und schließlich als Trampelpfad endete. Irgendwie war ich falsch. Also wenden. Auf dem Rückweg fand ich dann Dieter, der mit seiner Suzi gerade die Suhle in Angriff nahm. Beide Moppeds sahen anschließend wunderschön säuisch aus. Über einen Geröllpfad ereichten wir dann doch noch die Spitze, der eine weitere in Form eines schon zu sozialistischen Zeiten gebauten Hotels in umgedrehter Schultütenform aufgesetzt wurde. Ziemlich feudal ging es hier zu, aber nicht so sehr, dass man leicht angeschmuddelten Moppedfahrern die Bedienung verweigerte. Anstrengender als wir waren wahrscheinlich die Gäste, die am Nebentisch eine Hochzeit feierten und - ach wie neckisch - den Bräutigamszylinder für Fotos gegen einen unserer Helme tauschte. Eine gute Idee wurde in die Tat umgesetzt: Telefonisch wurde schon mal für die Rückkehr im Hotel Bier geordert - für den Fall, dass die Wirtsleute schon Feierabend gemacht haben. Wie ein Kinder-Laternenumzug schlängelten sich in der Finsternis die Moppeds durch die Kehren, angeführt durch das grünlich schimmernde Display des GPS-Empfängers. Die Wirtsleute haben es wieder zu gut gemeint: Musste es sein, dass neben den Urquells auch eine Flasche Becherovka für uns in die Loggia gestellt wurde? Heutzutage schleppt der zeitgemäße Biker (Dieter hat aber auch immer alles dabei, was Strom braucht) immer einen Schlepptop im Rucksack durch die Gegend. Dank dieses technischen Ballasts und diverser mitreisender Digitalkameras gab es zu Bier und Becherovka gleich eine TFT-Aktivdisplay-Diashow. Erstaunlich, was man an Ereignissen im Laufe eines Tages vergisst. Und noch erstaunlicher, dass heute, 5 Wochen nach der Reise, beim Schreiben überhaupt noch etwas in Erinnerung geblieben ist. SonntagKurz nach der Abfahrt am Sonntag begann der Regen. Immer kurz nachdem die Lederhose durchweicht war, hörte es wieder auf. Durch Dörfer, über Schnellstraßen, Umwege und Abkürzungen gelangten wir nach ???. Dort führt ein Kreuzweg zu einem Kirchlein auf den Berg. Vor nicht allzu langer Zeit glaubte man, durch Kriechen auf den Knien an den diversen Heiligen vorbei das Sündenkonto entlasten zu können. Uns hat's schon gereicht, den Berg auf Füßen zu bezwingen. Eingebrockt hatte den Brauch der Lahme der 3 Brüder, der katholisch blieb in der engen Welt, während die beiden mobileren weit weg zu Protestanten wurden. Wieder fing der Regen an und uns bremsten nach etlichen auf Schotter zurückgelegten Kilometern die Schranken vorm Naturpark. OK, akzeptiert! Die Straßen durch die kleinen Täler, immer einem Bach folgend, sind breitbereiften Moppeds und deren Herrchen auch lieber. Hier zahlt sich ein GPS-Empfänger aus, denn diese Straßen findest Du nur, wenn Du Dir den Tracklog runterlädst. Dann Mittagessen in einem an die ehemaligen Transitautobahnraststätten erinnerndes Ausflugsrestaurant. Hochinteressant - wie im Museum. Das Essen war aber besser als nach der HO-Norm. Bei den Parkgebühren wurde kein Unterschied zwischen Motorrad und Auto gemacht. Folge: Die platzsparend in Viererpäckchen in einen Parkhafen abgestellten Moppeds wurden auf jeweils 4 volle Parkhäfen verteilt und schon war der Parkplatz voll. Schlechte Preisgestaltung für den Parkplatzwächter! Kurz bevor der Alleinunterhalter sein "La Paloma" intonieren konnte, wurde die Flucht auf die Landstraße angetreten. Jahrhundertelang hat man sich um diese Gegend gestritten und noch immer erinnern gut gepflegte Denkmäler an die vielen Schlachten. Die Tila-Felsen, eine "geologische Verlängerung" der Bastei bei Dresden, hätten eigentlich auf einer kleineren Wanderung näher betrachtet werden müssen. Angesichts des unterdessen fantastischen Wetters (zu warm) und zum Laufen ungeeigneter Kleidung (zu warm) reichte uns ein Blick auf die in der Wand hängenden Freeclimber, die sich hier noch ohne Zwist mit Felsenschützern austoben können. Da auch hier ein Obolus fürs Parken eingefordert wurde, ging es weiter zur Grenzkammstraße. Sie ist kein Vergleich mit der gleichnamigen Ligurischen, sind doch die Berge hier nicht ganz so hoch. Der Ausblick nach links (Tschechiens Täler) und rechts (deutsche Täler) ist dank der durch jahrzehntelang ungefilterter Industrieemissionen nicht durch Bäume verstellt. Es ist eine eigen- und einzigartige Landschaft, die gerade im Winter ihren Reiz haben wird. Da steht den Skifahrern nämlich auch kein Baum im Wege. Ganz oben steht eine Hütte, Inhalt sind ein ziemlich großer, aber friedfertiger Hund und sein Herrchen, der locker als Waldschrat (trotz fehlendem Wald) durchgehen würde. Hier kann man einen Kaffee bestellen, dazu diese kräftig gewürzten heißen Würstchen und sich am knisternden Kamin wärmen, derweil der Hüttenhund sein Haupt auf den eingematschten Stiefeln lagert und ein wegkullernder Helm die Ladestation des Mobiltelefons aus der Steckdose zieht. Weiter nach Zinnwald, aber nicht nach rechts Richtung Grenze (man hätte an dieser Stelle einen Kilometer Anstellschlange gespart), sondern über wunderbar schnelle Kurven die E55 runter nach Teplice. Nicht jede Kurve konnte in Ideallinie genommen werden, denn die extrem leicht bekleideten Damen am Straßenrand trugen nicht zur vollen Konzentration aufs Fahren bei. In Teplice links und wieder in die Berge. Hier hatte es endlich, was des Heizer Herz begehrt: enge und weite Kurven, Serpentinen und eine Opfer-GSX zum Versägen voraus. Dann Warten auf den Rest und wieder zurück zur Grenze nach Bahratal über die Kammstraße. Unterwegs konnte die gute Tat des Tages vollbracht werden: ein süßes älteres Pärchen aus MeckPomm, unterwegs in der Dame alter Heimat mit einem Harley Sportster-Gespann, saß neben der Straße im Schlamm eines getarnten Straßengrabens fest. Schlurks! - gemeinsam rausgehoben und eine Einladung an die Müritz in der Tasche. Vorbei an zahlreiche das Kaufkraftgefälle nutzende Sachsen in Bahratal über die Grenze und in Pirna nicht ganz komplikationslos über die Elbe. Klaus - fast immer 50m parallel (mal links, mal rechts) zu den Tracklogs seines GPS vorausfahrend- vermied jede Hauptstraße, fand wirklich jede enduromäßig zu durchfahrende Straßenbaustelle und ersparte uns so viele Kilometer und Langeweile. Sachsen ist auch abseits der Touri-Routen sehr beschaulich. Ab Ruhland auf die Autobahn. Zwischendurch durch wahre Wolkenbrüche, die uns gewaschen haben, hindurch und glücklich (gedämpft durch eine nicht mehr dämpfende Auspuffanlage) zur Tagesabschlusspizza nach 1100 km im Marinella gelandet. Danke, Klaus! - Peter G. Nachtrag: Ich habe den Bruchpiloten ein paar Fotos geschickt und daraufhin einen netten Brief an uns bekommen. Den könnt ihr hier lesen. |