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Türme sind einfach hervorragend. So auch der Wasserturm in Finow, der uns bei unserem Ausritt am vergangenen Wochenende ins Auge stach (zum Glück nur sinnbildlich). Ziel war diesmal die Gegend um Eberswalde, die ja etliche interessante Technik-Denkmale aufweist - das Schiffshebewerk Niederfinow am Oder-Havel-Kanal, dessen Vorläufer, den Finowkanal, das Kloster Chorin, die luftfahrthistorische Ausstellung auf dem Flughafen Finowfurt sowie das Binnenschifffahrtsmuseum in Oderberg - um nur die wichtigsten Punkte zu nennen. All das kann man an einem Tag gar nicht besichtigen. Zumal man unterwegs noch auf die eine oder andere unbekannte Trouvaille stößt, wie eben auf diesen Wasserturm. Er wurde 1917 nach den Plänen des Architekten Paul Mebes errichtet und gilt als eines der frühesten Beispiele des Backsteinexpressionismus in Deutschland. 50 Meter hoch ist er, so steht es in der Stadtinformation Eberswalde, als Baumaterial diente gelbes Ziegelmauerwerk, das inzwischen leider etwas bröckelig wurde. Ein so großer Turm, gegen Ende des Ersten Weltkriegs gebaut? Nun, er diente natürlich keinen rein zivilen Zwecken, sondern als Wasserturm für das benachbarte Messingwerk und die Arbeitersiedlung daneben. Ein Förderkreis bemüht sich um die Sanierung des Turmes, berichtet uns ein Wirt, dessen Gaststätte gleich im Schatten des hohen Bauwerks liegt. Am 1. Juli nächsten Jahres wäre die Messing-Verarbeitung 300 Jahre alt geworden, das Werk freilich hat die Zeit nach der Wende nicht überlebt, hier regiert der Abrissbagger. Der Turm jedenfalls verlor seine Wasser spendende Funktion schon 1964, er soll nun als Aussichtspunkt eine neue Aufgabe erhalten. Zuvor müssen das Dach abgedichtet und die Treppe in einen sicheren Zustand gebracht werden. Einen Lastenaufzug gab‘s darin auch einmal, berichtet der Gastwirt. Nun mag das Werk geschlossen sein, aber die Siedlung steht noch - und zwar unter Denkmalschutz. Wir erblicken unter anderem einen dreigeschossigen Wohnhausblock, der teilweise zwar noch bewohnt wird, aber dennoch langsam verfällt. Schade eigentlich, denn so häufig sind solche alten Häuserzeilen aus Fachwerk nicht. Hoffentlich wird diese architektonisch interessante Hausreihe noch rechtzeitig gerettet. Messing besteht ja bekanntlich aus Kupfer und Zink - nun, und die Kupferbearbeitung geht in Eberswalde sogar auf das Jahr 1532 zurück. Aus jener Zeit stammt übrigens auch die erste Papiermühle in der Mark Brandenburg, die hier entstand. Seit dem 14. Jahrhundert lag die Stadt auf dem Handelsweg zwischen Frankfurt/Oder und Stettin, das brachte Rohstoffe und neue Ideen heran. Die Finow wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts erstmals zu einem Kanal ausgebaut, elf Schleusen führten auf ihrem knapp 40 Kilometer langen Weg von der Havel zur Oder. Im Dreißigjährigen Krieg wurde der Kanal zerstört, doch sollte es bis 1746 dauern, bis Ersatz vorhanden war, diesmal mit 17 Schleusen. Wer auf dem Weg von Eberswalde zum Hebewerk rechts in den Wald abbiegt, gelangt zum Beispiel zur idyllisch gelegenen Stecherschleuse - eigentlich darf man das eingezäunte Gelände nicht betreten, aber wenn man nach dem Weg fragen will, bleibt einem ja nichts anderes übrig... Derzeit diskutieren Bund und Land übrigens über die künftige Trägerschaft, denn der Kanal wird nur noch von Freizeitskippern genutzt. Weiter geht‘s, zur 13 000 Tonnen schweren Stahlkonstruktion, die 60 Meter hoch ist und die Schiffe einen Höhenunterschied von 36 Metern bewältigen lässt. Baubeginn war 1927, Eröffnung am 21. März 1934. Aber haben wir in unserer Chronologie nicht noch etwas Wichtiges vergessen? Klar, den Bau des Oder-Havel-Kanals, an dem das Hebewerk liegt. Der Finowkanal ein paar Kilometer weiter südlich war zur Jahrhundertwende viel zu klein geworden, etwas Größeres musste her. Und so entstand der neue Kanal, der 1914 in Betrieb genommen wurde. Nur war damals halt noch kein Hebewerk vorhanden. Also musste man die Schiffe durch vier aufeinander folgende Schleusen bugsieren - was ewig dauerte und viel Wasser verbrauchte (obschon auch damals schon Wassersparbecken seitlich installiert waren). Diese Anlagen sind heute noch zu sehen, sie sind technisch eigentlich fast noch interessanter als der riesige Aufzug für Binnenschiffe nebenan. Erst mit diesem jedenfalls konnte der Verkehr zwischen Oder und Havel beschleunigt werden. Weiter geht‘s Richtung Liepe, und dann nach links weg Richtung Brodowin. Die Straße stammt aus der Zeit vor der Erfindung des Verkehrswegebaus, der Kopfsteinpfad ist an manchen Stellen dermaßen gewölbt, dass er für herkömmliche Autos praktisch unpassierbar ist (obschon es immer wieder probiert wird). Aber mit den Moppeds geht es gut, vor allem, weil hier die tiefergelegten Humpftamobile nicht durchkommen, jene rollenden Subwoofer, die sonst die Landstraßen mit dem rhythmischen Gedröhn belegen, das von manchen Zeitgenossen mit Musik verwechselt wird. Nun steht das Kloster Chorin auf dem Programm, besser: das, was davon noch übrig blieb. Schließlich wurde es bekanntlich schon 1258 als Ableger der Zisterzienser-Niederlassung in Lehnin gegründet. Im 16. Jahrhundert verfiel die Anlage, wurde sogar als Steinbruch genutzt und erst auf Veranlassung von Friedrich Wilhelm IV. um 1830 gerettet. Berlins bekanntester Architekt Karl Friedrich Schinkel und der ebenso berühmte Landschaftsplaner Peter Joseph Lenné taten sich hier nützlich. Und bis in heutige Zeit hinein wird immer wieder an dem Ensemble gearbeitet, gilt es doch als bedeutendstes mittelalterliches Kloster in Brandenburg. So viel Kultur legt den Magen in Hungerfalten - also ein paar Meter zurück und hinein nach Chorin. Beim Landgasthaus zur Kroneneiche hatten wir schon telefonisch vorbestellt (0333 66/280), also geht‘s schnell an den lecker gefüllten Napf. Allein schon die Bratkartoffeln sind ein Gedicht in Mampf und Schleck, in unserem Restoführer durchs Umland gibt‘s dafür vier Helme und zwei Fliegen als Auszeichnung. Die Stärkung war nicht verkehrt, denn anschließend sollte die Stollenreifenfraktion auch einmal zu ihrem Recht kommen. Auf legalen Ackerwegen ging‘s über Britz und Lichterfelde nach Finow, wo der Turm stach (ins Auge, siehe oben). Wem das zu viel war, der konnte herkömmliche Straßen außen herum benutzen. Was wäre aber ein solcher Ausflug ohne Flugzeuge? Über Finowfurt erreichen wir eine Ecke des früheren Militärflughafens Finow. Er war zur Nazizeit ausgebaut und später von den Sowjets übernommen worden, wie berichtet, gibt es für die Anlage größere Ausbaupläne. Die Sammlung von Zivil- und Militärflugzeugen sowie von Bauteilen der Maschinen ist zum Teil in früheren Flugzeugunterständen (,,shelter") untergebracht. Hier kann man sich unter anderem ansehen, wie Turbopropmotoren funktionieren und völlig abdrehen: eine kardanisch aufgehängte Kreiselvorrichtung darf bestiegen werden, in ihr schwenkt es sich (mit festgeschnallten Füßen) so ziemlich gleichzeitig in alle Richtungen - eben wie in einem Flugzeug, das ins Trudeln gerät. Schon interessant, was da noch alles so aus den eigentlich geleerten Hosentaschen fällt... Wer die Tour nachfahren möchte, dem sei die Anreise über Bernau empfohlen. Im Nordosten der Stadt zweigt die Strecke nach Albertshof und Tempelfelde ab, Gratze, Beerbaum und Heckelberg folgen sowie Kruge, Gersdorf und Hohen- und Niederfinow. Sieht man einmal von modernen Windkraftanlagen ab, sprühen Landschaft und Dörfer bisweilen geradezu noch vor ostalgischem Charme - nur der "Duft" nach Braunkohle und Desinfektionsmittel fehlt. Mit dem inzwischen eingetretenen Witterungswechsel riecht’s dafür in den Waldstücken schon anders als im Sommer. Laub und morgendliche Luftfeuchtigkeit werden insbesondere auf Kopfsteinpflaster zu jenen Wegbegleitern, die eine eher kontemplative Fahrweise provozieren. Aber selbst auf diesen sonst recht leeren Nebenstraßen ist Zurückhaltung am Drehgriff ja kein Fehler, da haben die Augen umso häufiger Gelegenheit, sich auf die Gebäude am Streckenrand zu konzentrieren. Es müssen ja nicht gleich riesige Türme sein. So steht's auf -Motorradseite.
Der Autor Gido hat den Klau freundlichst genehmigt.
Nachtrag: Einige trieb es über die Autobahn zurück, dem harte Rest war noch nicht danach. Es wurde ein kurzen Halt an der Gedenktafel für den ersten nach der Wende durch dumpfe Glatzen zu Tode geprügelten Ausländer gemacht - an der Straße von Finow nach Eberswalde mitten in einem niedergegangenen Industriegebiet. Das ist nun schon fast 10 Jahre her, und seitdem hat sich an der Weltanschauung dieser Menschen nichts verändert. Zwischen Eberswalde und Bad Freienwalde, kurz hinter Falkenberg, geht rechts ein Weg rauf zum Karlsberg. Oben stand einmal eine Burg, auf den Grundmauern steht jetzt ein Restaurant, in dem allerlei Plüsch und Kitsch verkauft wird, von dem man aber mit riesigem Blick über das Oderbruch wunderbar die Abendstimmung genießen kann. Über die 158 ist man auch im Dunkeln schnell zurück in Berlin. -Peter G |